Bund prüft sogar Ölkrafwerke – Sonntagszeitung
Bund prüft jetzt sogar Einsatz von schmutzigen Ölkraftwerken
Notrezept gegen Energiekrise Strom aus Erdöl gilt als besonders klimaschädlich. Doch ein bestehendesVersuchskraftwerk im Aargau könnte den drohenden Strommangel verhindern.
Im Winter droht ein Energiedebakel. Der Bund prüft gerade unter Hochdruck, welchen Unternehmen er als Erstes das Gas oder den Strom abstellen müsste. Flächendeckende Abschaltungen sind möglich, der Wirtschaft drohen Milliardenverluste.
Nun bringt Energieministerin Simonetta Sommaruga in der Verzweiflung einen hoch umstrittenen Vorschlag ins Spiel, der ihrem Ziel einer schnellen Energiewende diametral zuwiderläuft: «Das Uvek prüft für den äussersten Notfall jetzt auch den Einsatz von mit Öl betriebenen Kraftwerken », bestätigt das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation.
Bereits Sommarugas Plan, ab 2025 Gaskraftwerke als Reserve bereitzustellen, führte zu heftigen Kontroversen zwischen Umweltschützern und bürgerlichen Politikern. Bei mit Erdöl betriebenen Kraftwerken dürften die Wogen noch viel höher gehen. Sie gelten als noch schmutziger, zumal sie für die gleiche Menge Strom wesentlich mehr CO2 ausstossen als Gasturbinen.
Andererseits könnte ein Ölkraftwerk einen Strommangel abwenden oder zumindest deutlich abmildern. Denn Öl wird es im Winter voraussichtlich genug geben. Der Berner FDP-Nationalrat und Energiepolitiker Christian Wasserfallen sagt: «Wir müssen mit allen Mitteln eine Strommangellage verhindern. Deshalb ist es zwingend, dass wir in dieser akuten Situation leider auch den Einsatz von Ölkraftwerken in Betracht ziehen. Es wäre eine Sünde, wenn wir das unterliessen.»
Einsatz bereits in diesem Winter eigentlich nicht möglich
Welche Standorte die Energieministerin prüfen lässt, ist nicht bekannt. Klar ist, dass die Zeit für den Bau eines neuen Ölkraftwerks nicht reicht. Die Hoffnung liegt deshalb auf einem bestehenden Kraftwerk im Kanton Aargau. Es liegt in Birr und wurde eigentlich zur Erprobung neuer Gasturbinen gebaut. Es hat aber testweise bereits grosse Mengen Strom ins Netz gespeist.
Die dort installierten Turbinen können nicht nur mit Gas, sondern auch mit Öl betrieben werden. Eine der drei Turbinen kann so viel Strom produzieren wie das Atomkraftwerk Beznau 1. Bahngleise führen direkt auf das Werkareal. Die Ölzufuhr per Bahn wäre damit sichergestellt. Und auf dem Areal stehen schon Tanks, die Öl für eine Betriebszeit von einem Tag fassen können.
Dennoch gibt es grosse Hürden. Die Behörden des Kantons Aargau stehen zwar seit längeren mit der Betreiberin, der italienischen Firma Ansaldo Energia, im Gespräch. Diese hat Interesse bekundet, das Kraftwerk als Reserve für die Not zur Verfügung zu stellen. Allerdings fanden die Gespräche im Frühling statt. Damals war die Angst vor einer Strommangellage für den kommenden Winter noch nicht so gross wie jetzt. Man ging von einem Gasbetrieb ab 2025 aus und arbeitete deshalb vorerst noch nicht im Notmodus.
Gemäss den Aargauer Behörden hiess es damals, dass es mindestens ein Jahr dauern würde, um die Turbinen so weit zu ertüchtigen, dass sie zuverlässig genug seien für ein Reservekraftwerk. Zudem brauche es noch Bewilligungen für den regulären Betrieb.
Das Szenario für einen Einsatz bereits in diesem Winter wurde in der Folge gestrichen. Gerd Albiez, Verwaltungsratspräsident von Ansaldo Energia Switzerland, sagt: «Unter normalen Umständen ist es ökonomisch und rechtlich nicht möglich, das Kraftwerk in Birr bis im kommenden Winter so weit zu haben, dass es als Reservekraftwerk für die Stromproduktion zur Verfügung steht.»
Doch nun ist die Betreiberin des Kraftwerks bereit, die Inbetriebnahme für diesen Winter nochmals zu prüfen. «Wenn der Bund sehr kurzfristig mit Notrecht die Bewilligungen ermöglichen würde und Kosten keine Rolle spielten, könnte geprüft werden, ob die Stromproduktion mit den Turbinen für nächsten Winter technisch möglich wäre», sagt Albiez.
Lieber Ölkraftwerk als Strommangel
Der Vorschlag, das Kraftwerk zur Verhinderung eines Energiemangels fit zu machen, findet Unterstützung von überraschender Seite. Gian von Planta, grünliberaler Grossrat im Aargau und ETH-Ingenieur mit Erfahrung im Turbinenbau, glaubt, dass man die Anlagen einsatzbereit machen könnte.
Von Planta hat vor einigen Jahren bei Alstom, der früheren Besitzerin des Kraftwerks in Birr, gearbeitet. Heute ist er Leiter der technischen Anlagen der Energie- und Wasserversorgung der benachbarten Stadt Lenzburg. Er sagt: «Die Schweiz sollte alles daran setzen, dass die Turbinen im Winter im Notfall zur Verhinderung einer Strommangellage zur Stromproduktion genutzt werden können.»
Die Stromherstellung mit Öl sei zwar «sehr schmutzig». Für den grünliberalen Politiker ist aber klar: «Im Notfall Öl verstromen ist immer noch viel besser, als nun die ganze Energiestrategie über den Haufen zu werfen.» Man müsse die aktuelle Notsituation aber zum Anlass nehmen, «den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv zu forcieren».
Insider berichten, dass die Kraftwerksbesitzerin Ansaldo über den möglicherweise baldigen Einsatz bis jetzt nicht begeistert gewesen sei. Der Grund: Sie habe Angst, dass die Turbine nicht rechtzeitig anspringe, wenn sie zuvor nicht zeitaufwendig revidiert worden sei. Ansaldo befürchte einen Reputationsschaden als Turbinenbauerin. In der Tat wäre ein zu spätes Nichtanspringen im Notfall – wenn es sonst nirgends mehr Strom gibt – verheerend. Ein Zusammenbruch des Stromnetzes würde drohen.
Spezialisten sehen aber einen Ausweg. Man könnte die Turbinen im Winter bereits dann Strom produzieren lassen, wenn sich erst abzeichne, dass die Stauseen bald leer seien. Dank dieser vorzeitigen Produktion könnten die Seen stets einen kleinen Notvorrat halten. Ein verzögertes Anspringen der Turbinen wäre in diesem Fall unproblematisch und die Gefahr eines Strommangels trotzdem abgewendet.
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